Wie ging es den Menschen in Porz in der Corona-Krise? Welche Probleme sind aufgetaucht, welche Missstände vielleicht noch deutlicher geworden? Und was müssen wir machen, damit wir nach der Krise besser dastehen als vorher? Das möchte ich herausfinden – im Gespräch mit Porzerinnen und Porzern, die sich an wichtigen Stellen für Porz einsetzen und verdient machen.
Meine erste Gesprächspartnerin ist Simin Fakhim-Haschemi. Sie ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin in Porz-Mitte. Seit 20 Jahren führt sie ihre Praxis und hat hunderte Kinder in Porz aufwachsen sehen. Menschlich und engagiert kümmert sie sich um die kleinen Patienten und hat immer einen guten Rat, wenn die Eltern mal nicht weiter wissen. Auch in ihrer Freizeit engagiert sie sich für Porz: Im Urbacher Bürgerverein, im Bündnis Porz-Mitte und in der Vernetzung der Porzer Bürgervereine ist sie aktiv, immer mit dem Ziel, Porz voran zu bringen.
Frau Fakhim-Haschemi, wie haben die Porzerinnen und Porzer die Zeit während der Corona-Krise erlebt?
Für viele Eltern war es schlimm. Ein eindrucksvolles Beispiel bei uns in der Praxis war eine Mutter aus Langel mit vier Kindern, die alle in die Schule gehen, von Klasse 1 bis 7. Sie musste das Home-Schooling koordinieren – aber die Familie hat nur einen Computer. Eine andere Mutter im Home-Office sagte mir, dass sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht. Ihr Mann war arbeiten, sie alleine zuhause mit zwei Kindern. Die Zeit war für viele Eltern sehr anstrengend und belastend.
Wie war es für Ihre Patienten, die Kinder?
Für viele Kinder war das Zuhausebleiben ein Problem, weil ihre Tage plötzlich keine Struktur mehr hatten. Das hatte gesundheitliche Folgen: Viele Kinder haben Tick-Störungen, Übergewicht oder sogar suizidale Gedanken entwickelt. Gerade für Einzelkinder war zudem die Isolation ein Problem. Ein Kind, das zweisprachig aufwächst, sprach auf einmal nur noch die Sprache der Mutter, Spanisch. Deutsch hat es kaum noch gesprochen, weil es nicht mehr zur Kita geht und der Vater eben arbeitet.
Was mussten Sie in Ihrer Praxis verändern?
Für die Praxis war die Corona-Krise vor allem organisatorisch eine Herausforderung. Wir haben die Wartebereiche neu organisiert und baulichen Schutz eingerichtet. Am Anfang war es schwierig, an Desinfektionsmittel und Schutzmasken zu kommen. Es gab kaum etwas in Köln.
„Am Anfang war es schwierig, an Desinfektionsmittel und Schutzmasken zu kommen. Es gab kaum etwas in Köln“
Auch unsere Handschuhe gingen zur Neige, da hatten wir natürlich einen horrenden Verbrauch. Ebenso beim Desinfektionsmittel – wir desinfizieren jetzt nach jedem Patienten das komplette Untersuchungszimmer, nicht nur die Behandlungsliege, sondern auch alle andern Gegenstände im Zimmer sowie die Wartezimmer in festgelegten Intervallen, auch nach gesunden Patienten.
Kamen durch die Pandemie mehr Patienten, die Sorgen hatten, sich mit dem Corona-Virus angesteckt zu haben?
Wir haben uns anfangs auf einen großen Run eingestellt. Aber stattdessen hatten wir viel, viel weniger zu tun als sonst. Viele Leute hatten einfach Angst, in die Praxis zu kommen. Das war ein Problem. Uns war klar, dass weniger Kinder Infekte bekommen, wenn die Kindergärten und Schulen geschlossen sind. Aber wo waren denn plötzlich die Kinder mit Bauchschmerzen, mit Blinddarmentzündung, mit Nierenbeckenentzündung? Auch in unserer Notfallpraxis war es viel ruhiger. Normalerweise kommen dort im Sommer 120 bis 160 Kinder pro Wochenendtag, auf einmal waren es nur noch 30.
Das ist ein dramatischer Rückgang – welche Folgen hatte diese Angst der Menschen vor Ansteckung?
Im Nachhinein haben wir festgestellt, dass durch diese Angst leider vieles verschleppt worden ist. Ein Kind hatte einen gebrochenen Arm. Die Mutter sagte mir, das Kind sei vor vier Wochen hingefallen, „aber wir sind nicht gekommen, weil wir wegen Corona solche Angst hatten“. Jetzt stand der Arm schief, weil er falsch geheilt war. Ein Kind mit Scharlach hatte nach fehlender Behandlung ein Nierenversagen entwickelt. Gott sei Dank kommen die Menschen jetzt wieder. Es ist sehr wichtig, dass solche Krankheiten früh genug entdeckt werden. Auch die Notfallpraxis hat hohe hygienische Standards, da braucht keiner Angst zu haben. Medizinisch ist Porz auf jeden Fall gut aufgestellt.
„Die Patienten hatten Angst, jeder hatte die Bilder aus China oder aus Spanien im Kopf“
Die Praxen sind sehr gut vernetzt und haben sich gegenseitig mit Materialien geholfen. Der hygienische Standard ist sehr hoch. Das Problem, dass weniger Patienten kommen, hatten viele Praxen, insbesondre auch Augenärzte und Zahnärzte. Die Patienten hatten Angst, jeder hatte die Bilder aus China oder aus Spanien im Kopf.
Ganz allgemein gesprochen: Welche Missstände sind durch die Krise noch deutlicher geworden?
In Porz ist es mit der Digitalisierung noch nicht sehr weit her. Es wäre gut gewesen, online in den Porzer Geschäften bestellen zu können, um diese auch während der Krise zu unterstützen, als sie nicht öffnen durften.
„Wir mussten dann bei Amazon bestellen. Ich würde mir wünschen, dass Porz digital vernetzter wäre“
Wir wollten uns Alltagsmasken aus Stoff anschaffen und brauchten einen passenden Topf, um diese direkt in der Praxis auskochen zu können. Aber den zu kaufen, war ein Problem, weil alle Geschäfte geschlossen waren. Wir mussten ihn dann bei Amazon bestellen. Ich würde mir wünschen, dass Porz digital vernetzter wäre.
Wie hat das digitale Home Schooling funktioniert?
Aus den Schulen haben viele Eltern berichtet, dass die Digitalisierung noch arg im Rückstand ist. Wie soll Home Schooling mit nur einem Computer gehen, wenn alle von 10 bis 12 Unterricht haben? Da sitzt einer am PC und die anderen mit ihrem Handy in ihrem Zimmer. Ich kann mir doch als Familie keine vier Laptops leisten, und in normalen Zeiten ist das auch gar nicht notwendig. Sinnvoll wäre es, wenn die Kinder sich Computer von der Schule leihen können.
Haben Sie ebenfalls die Erfahrung gemacht, dass soziale Unterschiede dadurch noch verstärkt wurden?
Viele Kinder aus schlecht situierten Familien haben zu Hause gar keinen Computer. Die fallen hinten über. Und wie will man sein Kind im Mathematikunterricht im Gymnasium unterstützen, wenn man vielleicht selber kein Abitur hat und der deutschen Sprache nicht mächtig ist? Die Schule gleicht diese Unterschiede sonst ansatzweise aus. Das fiel weg.
Sie sind auch Ehrenamtlich tätig, was hat sich dort geändert?
Im Ehrenamt war es genau anders herum. Da ging es von 150 auf einmal auf null, weil keine Treffen oder Veranstaltungen mehr möglich waren. Aber die „Schockstarre“ hielt bei uns nicht lange an. Bereits nach kurzer Zeit haben wir digitale Lösungen gesucht und gefunden. Zuerst Telefonkonferenzen, dann Vorstandssitzungen oder Besprechungen per Video, im Bündnis Porz-Mitte dazu Filme auf YouTube wegen der Bürgerbeteiligung. Im Urbacher Bürgervereins skypen wir immer noch in der Vorstandssitzung, denn das ist eigentlich viel einfacher. Wir haben digital aufgerüstet. Auch im politischen Bereich hätte man mehr digital machen können. Die Sitzungen der Bezirksvertreter oder des Beirats Porz-Mitte könnte man über Zoom oder Skype organisieren.
In der Hochzeit von Corona waren sich alle einig, dass gerade Pflegerinnen und Pfleger bessere Bedingungen und bessere Bezahlung brauchen. Das darf meiner Meinung nach nicht verloren gehen.
Das ist absolut richtig. Es muss honoriert werden, was die Pflege und der medizinischen Sektor leisten. Gerade im Pflegeberuf brauchen wir bessere Bedingungen. Ich bin mit vielen Krankenschwestern oder Pflegern im Gespräch. Es gab ihnen das Gefühl, auf einmal etwas Besonderes zu sein. Eigentlich waren wir in der Praxis und im Team froh, weil wir weiter arbeiten durften, trotz der Belastung und der Ansteckungsgefahr.
Man muss auch an die Menschen denken, die in den Supermärkten die ganze Zeit an der Kasse gesessen haben. Wir hatten ja hier in der Praxis unsere Schutzausrüstung an, in vielen Supermärkten gab es am Anfang nur Mundschutz und Handschuhe. Und die Beschäftigten hier mussten sich manchmal Sachen anhören, gerade als der Kampf ums Klopapier entstand.
Gab es Corona-Fälle in der Praxis?
Ja, es gab zwei nachgewiesene Patienten, das eine war eine jugendliche Patientin, die sich bei ihrer Mutter angesteckt hatte. Das andere war ein Patient, der eigentlich nur einen Termin zum Impfen hatte, aber seit drei Tagen Halsschmerzen. Beides waren aber keine schweren Fälle.
Schauen wir nach vorne: Wie können wir es schaffen, dass die guten Seiten der Corona-Zeit erhalten bleiben, der anfängliche Zusammenhalt und das Gefühl von Zusammengehörigkeit?
Die Leute müssen sich mit Porz identifizieren. Das ist ganz wichtig. Es gab wirklich ein Gemeinschaftsgefühl, ein Helfen untereinander.
„Es ist wichtig, die Menschen bei politischen Entscheidungen einzubinden“
Ich glaube, die Leute müssen das Gefühl haben, am gleichen Strang zu ziehen und für eine Sache zu kämpfen. Oder gegen eine Sache, wie auch immer. Auf jeden Fall, wenn Sie das Gefühl haben, gemeinsam etwas erreichen zu können. Deswegen ist es wichtig, sie bei politischen Entscheidungen einzubinden. Dafür ist Bürgerbeteiligung so wichtig, dann kann das klappen.
Dazu gibt es bald einige Gelegenheiten: Den Park an der Glashüttenstraße und das Porzer Rheinufer. Allerdings kommen zu Bürgerbeteiligungen oftmals proportional deutlich weniger jüngere Menschen oder Menschen mit Migrationshintergrund.
Ja, wobei sich das langsam ändert. Karim Oulad zum Beispiel ist jemand, der ja auch Migrationshintergrund hat, der seine Meinung einbringt und sich beteiligt. Und viele Kinder und Jugendliche kommen in die Glashütte, dort ist Philipp Neuhaus sehr aktiv. Sie wollen ihre Meinung sagen und gehört werden. Die gehören genauso zu Porz wie alle anderen auch. Es ist wichtig, sich gezielt an sie zu wenden.
Und es ist natürlich so, dass sich eher Leute engagieren, die vielleicht nicht so die existenziellen Probleme haben, dass sie sich vielleicht mehr organisieren oder mehr strukturieren und ehrenamtlich aktiv sind.
Danke für das spannende Gespräch!
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Was nehme ich aus dem Gespräch mit Frau Fakhim-Haschemi mit? Das sind meine wichtigsten Erkenntnisse:
- Kinder brauchen andere Kinder. Ihre Bedürfnisse sind in der Corona-Krise in den Hintergrund gerückt – vielleicht zu sehr.
- Wenn das Kind krank ist, immer zum Kinderarzt! Wenn man Bedenken hat, zum Beispiel, ob man sich oder andere anstecken könnte, zur Sicherheit vorher anrufen. Auf keinen Fall langfristige Schäden riskieren.
- Kinder in armen Familien sind tendenziell die Verlierer des Home-Schoolings. Wir müssen dringend faire Chancen schaffen, im ersten Schritt die Schulen digitalisieren. Schulen könnten Laptops und Tablets anschaffen und an Kinder verleihen, deren Eltern sie sich nicht leisten können.
- Applaus und Anerkennung für die „systemrelevanten“ Berufe sind schön, aber sie brauchen mehr: Bessere Bezahlung und bessere Bedingungen. Schnell und dauerhaft.
- Bürgerbeteiligung ist wichtig und für alle da! Über diesen Weg können alle mitreden, wie Porz in Zukunft aussehen soll. Das schafft Gemeinschaft und Identifikation.