Christo Spitzkat ist das Gesicht des Großen Tanzcorps der Urbacher Räuber. Seit der Gründung vor elf Jahren tanzt er in der ersten Reihe mit. Als Kommandant macht die Ansagen auf der Bühne und hält im Hintergrund die Fäden zusammen. Nebenbei ist der Familienvater eine Porzer Identifikationsfigur weit über den Karneval hinaus. Mit ihm habe ich darüber gesprochen, wie das Tanzcorps die Krise erlebt hat, was nach der Krise nötig ist – und, wie die Menschen mit der Maskenpflicht in der Gastronomie umgehen.
Welche Auswirkungen hatte die Krise auf euch als Tanzcorps?
Wir hatten drei Monate Stillstand und konnten nichts tun, außer uns fit zu halten. Aber wenn man keine Ziele hat, ist das Leben bedeutend schwerer. Im Moment können wir noch gar nichts absehen. Werden wir eine Session haben, werden wir Karneval feiern können, werden wir Auftritte haben? Und wird es überhaupt Veranstaltungen geben? Wenn man den Porzer Ratshaussaal Corona-konform einrichtet, passen dort gerade 200 Leute rein. Für 200 Leute brauchst du keine Sitzung zu machen. Da riskierst du als Veranstalter die Pleite. Dazu kommt die Verantwortung gegenüber unseren Tänzern. Schicken wir sie überhaupt in einen Saal, in dem sie sich mit Corona infizieren können?
Sind euch denn alle Tänzerinnen und Tänzer erhalten geblieben?
Natürlich gehen manche altersbedingt. Und jetzt haben wir wieder das große Glück, dass eine unserer Tänzerinnen schwanger ist. Aber Corona-bedingt haben wir nicht einen einzigen verloren.
Das spricht für einen guten Zusammenhalt.
Ja, das stimmt. Die meisten sind schon jahrelang hier. Wir haben einen Stamm von acht, neun Leuten, die seit elf Jahren hier tanzen. Die meisten werden ihre Karriere irgendwann hier beenden, ich wahrscheinlich auch. Aber nagel‘ mich nicht darauf fest. (lacht)
Was wisst ihr schon über die kommende Session?
Gar nichts. Ich persönlich glaube nicht an eine Session. So, wie wir sie kennen, ist sie auf jeden Fall utopisch. Ich sehe das daran, dass Veranstalter im Umfeld jetzt anfangen, ihre Veranstaltungen abzusagen. Das bedeutet auch, dass sie ihre Verträge mit uns brechen.
Ich persönlich glaube nicht an eine Karnevalssession. So, wie wir sie kennen, ist sie auf jeden Fall utopisch.
Bisher ist in keinem Künstlervertrag eine Pandemie abgedeckt. Aber ich werde keinem mit einer Konventionalstrafe drohen. Damit schneiden wir uns ins eigene Fleisch: Was bringt es uns, wenn wir damit kurzfristig ein paar Kosten decken, aber der betreffende Verein auf lange Sicht nicht mehr besteht?
Gibt es finanziell für euch auch Probleme?
Wir sind mit den Urbacher Räubern mit einer Gesellschaft gesegnet, die uns sehr unterstützt. Wie es dort gerade aussieht, weiß ich natürlich nicht. Aber wenn das Räuberfest nicht stattfindet, das sonst über drei Tage läuft und eine Session finanziert, kann sich jeder ausmalen, dass das ein Riesenproblem ist. Es gibt Überlegungen des Landes NRW zu einer Förderung des Brauchtums, da stehen 15.000 Euro im Raum, wenn man die entsprechenden Ausgaben nachweisen kann. Aber man sieht es gerade bei der gastronomischen Förderung, dass diese den Leuten um die Ohren fliegt.
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Im Nachhinein heißt es dort, Personalkosten dürfen von der Förderung nicht abgerechnet werden.
Was ist denn, wenn so eine Rückforderung in einem ehrenamtlichen Verein passiert? Dann gibt es den Verein nicht mehr. Deshalb muss man sich natürlich gut überlegen, ob man die Förderung beantragt: Ob alles gut geht und sie uns rettet, oder ob es am Ende hochgeht wie eine Bombe. Ist das im Sinne des Landes NRW? Das weiß ich nicht.
Was ist denn, wenn so eine Rückforderung [einer staatlichen Förderung] in einem ehrenamtlichen Verein passiert? Dann gibt es den Verein nicht mehr.
Was würde das bedeuten, wenn die Session ausfällt – selbst wenn es erstmal „nur“ die nächste Session ist?
Ich würde mir um das eine Jahr keine großen Sorgen machen. Schreib das bloß nicht, aber vielleicht wäre es sogar besser, mal ein Jahr auszusetzen und sich auf das Wesentliche zu besinnen. Obwohl, schreib es doch rein, das ist echt gut.
Sehr spannend! Was ist für dich das Wesentliche?
Das familiäre, intime, das, wo der Karneval herkommt. Im Moment zählt nur höher, schneller, weiter. Es fühlt sich an wie ein Wettbewerb. Aber wenn du es dir nicht leisten kannst, dass Brings, Querbeat, Kasalla und Cat Ballou innerhalb von zwei Stunden auf deiner Sitzung auftreten, dann heißt das ja nicht, dass die Sitzung schlechter ist. Im Gegenteil, wenn dir das Stakkato im 20-Minuten-Takt um die Ohren fliegt, kannst du das gar nicht verarbeiten. Am Ende des Tages geht es darum, was im Saal stattfindet. Es muss eine ausgewogene Balance mit Rednern, Bands und natürlich Tanzgruppen geben. Was nicht da rein gehört, ist Ballermann.
Siehst du diese Entwicklung auch im Porzer Karneval?
In Porz ist es gottseidank noch nicht so. Aber die Tendenz geht ein bisschen da hin. Auf welcher Sitzung tritt denn noch mehr als eine Tanzgruppe auf? Oft sind es nur die eigenen Kräfte, die dann meistens auch noch in der zweiten Hälfte tanzen, weil dann ohnehin egal ist, was kommt.
An welcher Stelle der Sitzung ist für ein Tanzcorps der Auftritt am besten?
Ganz am Anfang zu spielen, einen Laden zu eröffnen, ist sauschwer. Es kann dich killen, aber es kann auch das Schönste sein. Letztes Jahr waren wir innerhalb von zwei Stunden auf zwei Herrensitzungen hintereinander der Opener. Das hat richtig Laune gemacht. Das geilste ist, wenn du vor einer ganz berühmten Band kommst. Dann postieren sich die Leute ganz vorne und der Saal ist voll. Das Schlimmste, was dir passieren kann, ist, nach Brings zu kommen. Dann sind alle völlig ausgelaugt und gehen erstmal raus. Aber so ist das Programm. Ich habe noch nie einem Literaten vorgeschrieben, wo er uns hinsetzen soll.
Was assoziiert denn der Mensch mit Köln? Karneval. Aber die Leute, die dafür malochen, sich den Arsch aufreißen, sind dann egal. Die Botschaft ist: Ihr finanziert euch schon selbst.
Ich persönlich finde Tanzgruppen faszinierend. Die Kunst ist ja, dass das so einfach aussieht. Aber es steckt harte Arbeit dahinter, das weiß ich spätestens, seit ich einmal bei euch mittrainieren durfte.
Das stimmt. Ich verstehe nicht, warum wir nicht als Sportverein gelten. Dadurch haben wir keinen Anspruch auf Sportförderung. Das ist ein Unding. Ich habe in der Kreisliga D Fußball gespielt, das macht mega Spaß, du trainierst einmal die Woche, sonntags triffst du dich zum Kicken, danach trinkst du zehn Bier. Absolute Klasse. Diese Vereine haben Zugriff auf den Sportfördertopf. Ich gönne das den Jungs. Aber wir trainieren hier zweimal pro Woche und können das nicht. Wir können unseren Verein nicht einmal privat bei der Krankenkasse angeben, um Prämien zu bekommen. Wir sind kein Sportverein. Wir sind ein Karnevalsverein.
Was könntet ihr über die Sportförderung finanzieren?
Zum Beispiel könnten wir Tanzausrüstungen bezuschussen. Und jeder Fußballverein hat ein Vereinsheim. Hast du schon mal einen Karnevalsverein gesehen, hier in Porz, der ein Vereinsheim hat? Nein, natürlich nicht. Der Fußball kann über die Spiele Geld einnehmen und wird mit Sponsoren zugeworfen. Wir können uns im Moment nicht beschweren. Aber ich hätte auch gerne ein Vereinsheim bezuschusst. Wir beschäftigen insgesamt über hundert Tänzer mit den Kids zusammen.
In einem Vereinsheim könnte man einiges anbieten, für Nachbarn und Interessierte zum Beispiel, und so mehr Menschen Zugang zum Karneval eröffnen.
Das schafft Identität und damit auch viel Identifikation mit Porz. Was assoziiert denn der Mensch mit Köln? Karneval. Aber die Leute, die dafür malochen, sich den Arsch aufreißen, sind dann egal. Die Botschaft ist: Ihr finanziert euch schon selbst. Wir sind noch relativ groß, aber nimm als Beispiel eine kleine Familiengesellschaft mit 35 Leuten. Die haben auch eine kleine Kindertanzgruppe. Selbst wenn da nur 10 Mädchen tanzen, lass sie doch machen, das ist doch schön. Aber wo soll das Geld herkommen, von dem sie sich eine Uniform kaufen?
Was ist dir ganz allgemein während der Krisenzeit noch aufgefallen?
Ganz generell finde ich, dass eine einheitliche Linie der Bundesländer gefehlt hat. Zumindest ein Plan A, von dem man dann abweichen darf. Klar, wir sind eiskalt getroffen worden von dieser Pandemie. Natürlich wusste keiner, wie es funktionieren kann. Da hätte man sich vielleicht gewünscht, dass jemand Orientierung gibt. So hat es zu viel Unsicherheit bei Leuten geführt.
Du arbeitest in der Gastronomie. Wie erlebst du dort die Situation?
Wir hatten zweieinhalb Monate lang geschlossen. Dann gab es an einem Montag die Ansage, dass wir am nächsten Montag wieder öffnen dürfen. Aber die Verordnung vom Land kam erst freitags um 23 Uhr. Wie soll das funktionieren? Wir haben dann einfach umgesetzt, was wir aus anderen Bundesländern gesehen haben. Aber wir hätten eine Woche Zeit haben können, nicht nur Samstag und Sonntag.
Ich hatte den Eindruck – zumindest am Anfang – dass der Zusammenhalt unter den Menschen stärker geworden ist. Dieses Gefühl, jetzt sitzen wir alle in einem Boot. Daraus ist viel gegenseitige Hilfsbereitschaft entstanden.
Ja, und dann fingen die Leute an, genervt zu sein. Und dann wurde es eklig. Jeden Tag bei der Arbeit ist es furchtbar. Ich habe heute mindestens fünfzehn Mal mit Leuten diskutiert und werde wirklich müde dabei, es zu erklären: Ein Mund-Nasen-Schutz bedeutet, dass Mund und Nase bedeckt sind. Da kann nicht der Zinken rauskucken.
Ich werde wirklich müde dabei, es zu erklären: Ein Mund-Nasen-Schutz bedeutet, dass Mund und Nase bedeckt sind. Da kann nicht der Zinken rauskucken.
Am schlimmsten sind die, für die wie die Masken-Parade machen, die Älteren, die dann noch diskutieren: Ich lass mir doch nichts vorschreiben. Ja, aber ich schreibe es Ihnen auch nicht vor. Der Herr Laschet sagt das. Was soll ich denn jetzt machen? Wenn eine Kontrolle kommt, dann bin ich geliefert. Irgendwann bis du auch genervt, das muss ich ehrlich zugeben.
Viel zu viele lassen sich von Idioten leiten, wie Attila Hildmann. Es ist nicht schlimm, wenn du einen Idioten hast, der eine Meinung hat. Das Problem sind die zehn Leute, die ihm zuhören.
Also du wärst eher pessimistisch, wenn es darum geht, ob wir so einen Zusammenhalt rüber gerettet kriegen?
Ich sehe schon, dass Leute sich gegenseitig unterstützen. Ich bin von überzeugt, dass man das behalten könnte, wenn man die Leute weiterhin motiviert, sinnvolles zu tun. Ich sehe es bei uns auch gerade in der näheren Nachbarschaft. Jetzt kenne ich alle meine Nachbarn. Das wird auf jeden Fall bleiben. Aber viel zu viele lassen sich von Idioten leiten, wie Attila Hildmann. Es ist nicht schlimm, wenn du einen Idioten hast, der eine Meinung hat. Das Problem sind die zehn Leute, die ihm zuhören.
Wie ging es den Menschen in Porz in der Corona-Krise? Welche Probleme sind aufgetaucht, welche Missstände vielleicht noch deutlicher geworden? Und was müssen wir machen, damit wir nach der Krise besser dastehen als vorher? Das möchte ich herausfinden – im Gespräch mit Porzerinnen und Porzern, die sich an wichtigen Stellen für Porz einsetzen und verdient machen.