Schlechte Nachrichten: Auch heute Morgen ist Donald Trump immer noch der neue Präsident der USA. Nichts kann das ändern, es war kein böser Traum. Die Menschen vertrauen einem Populisten. Was bedeutet das für Deutschland und Europa? Ist der Weg in den Populismus auch für uns vorgezeichnet?
Die Antwort darauf ist ein differenziertes „nein, aber“. Nein, der Weg ist nicht vorgezeichnet. Aber wir müssen selbst etwas dagegen tun. Wir müssen die Schockstarre überwinden und aktiv werden. Wir, das ist am Ende jeder von uns: Politik, Medien und Wähler. Alle können und müssen einen Beitrag leisten. Und: Alle haben direkten Einfluss aufeinander. Dazu gleich mehr.
Das „Establishment“ in Verruf
Der Sieg von Donald Trump ist nur erklärbar durch die Schwäche von Hillary Clinton. Paradoxerweise wird Trump von vielen als authentisch und glaubwürdig wahrgenommen, obwohl ihm eine nicht für möglich gehaltene Anzahl an Lügen nachgewiesen wurde. Hillary Clinton wirkt dagegen wie ein Teil des Systems, eine glatte Politikerin, so perfekt auf ihre Auftritte vorbereitet, dass sie als Person nicht mehr zu erkennen ist. Auch ihre politische Motivation blieb unklar. Sie wollte Präsidentin werden, aber warum sie das sein wollte, wie sie das Leben der Menschen verbessern wollte, stand sehr im Hintergrund.
Das passte genau in das Bild eines selbstbezogenen Establishments, das perfekte Phrasen parat hat, aber keine Lösungen für die alltäglichen Probleme. Eine Elite, die in erster Linie am eigenen Fortkommen interessiert ist und die wahren Anliegen der „einfachen“ Menschen nicht ernst nimmt. Diese Narration machte sich Trump zunutze, und Clinton erfüllte die Rolle der etablierten Profipolitikerin unfreiwillig perfekt. Wenn sie authentischer und glaubwürdiger gewirkt hätte, dann hätte sie diese Wahl wohl gewonnen. Trump aber spielte die Rolle des Unangepassten ebenso perfekt und brach dazu in vollem Bewusstsein die „Regeln“ des Anstands, die ein Teil der Gesellschaft ohnehin als übertriebene Political Correctness betrachtet.
Dass das alles möglich ist, dass plumper Populismus über Erfahrenheit und Kompetenz triumphieren kann, bestürzt mich ebenso wie eigentlich alle, die gestern und heute ihre Kommentare in den Sozialen Netzwerken gepostet haben. Aber alles Beschweren hilft ja nichts. Ich finde, wir müssen uns dringend überlegen, was hier bei uns in Deutschland als Lehre aus diesem Ergebnis ziehen und was wir in Zukunft anders machen, um den Aufstieg des Populismus zu bremsen. Ich glaube, dass alle dazulernen müssen – Politik, Medien und auch die Wähler und Medienkonsumenten.
Eine andere Politik: Authentisch, verlässlich, souverän
Das Bild des selbstbezogenen Establishments, das sich weniger um echte Lösungen als um die eigene Situation kümmert, besteht auch in Deutschland. Nicht umsonst diskutieren wir immer wieder über „Politikverdrossenheit“. Die Politik muss sich selbstkritisch fragen, ob sie ihr Handeln wirklich an der guten und richtigen Lösung orientiert, oder ob das Werben um Stimmen und Stimmungen im Vordergrund steht. Ich glaube daran, dass sich ersteres langfristig auszahlt, weil es Glaubwürdigkeit schafft. Und weil ein Politiker, der an die Richtigkeit seines Vorschlags glaubt, authentischer und überzeugender auftreten kann. Demokratie ist nicht umsonst der „Wettstreit der besten Ideen“ und nicht der Wettlauf um die meiste Aufmerksamkeit. Leider oft nur in der Theorie.
Auf der anderen Seite, auch das glaube ich, bleibt es den Menschen nicht verborgen, wenn Gründe für Positionen und Entscheidungen nur vorgeschoben sind. Eine größere Souveränität würde auch der Politik guttun. Dazu gehört, gute Vorschläge zu unterstützen, auch wenn sie von einer anderen Person oder gar Partei kommen. Dazu gehört, andere zu stärken, statt sie klein zu halten, um die eigene Position zu festigen. Und es braucht ein festes Gerüst an Werten, das den Kompass der Politik bildet und Orientierung bei Entscheidungen gibt. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Eine objektiv „richtige“ Entscheidung gibt es oft nicht, sondern eine Auswahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten, die man unterschiedlich bewerten kann.
Wie die Politik diese Auswahl trifft, welche Prioritäten setzt, muss sie auf Grundlage der festen Werte entscheiden, die letztlich Parteien überhaupt voneinander unterscheidbar machen. Diese Werte sind nicht verhandelbar. Erst dann entsteht Verlässlichkeit, und erst dann kann Vertrauen wachsen. Vertrauen, das Politiker auch und gerade dann festigen können, wenn sie möglichst oft das direkte Gespräch mit den Bürgern suchen.
Nicht zuletzt: Die Versprechen müssen am Ende auch umsetzbar sein und umgesetzt werden. Ein Beispiel aus meinem Bereich: Wenn den Menschen im Süden von Köln-Porz seit über 30 Jahren eine Verkehrsentlastung versprochen wird, die immer noch auf sich warten lässt, dann kann ich dort jede Politikverdrossenheit nachvollziehen.
Die Medienlogik und ihre Probleme
Warum spielt die öffentliche Wahrnehmung für Politiker überhaupt eine so große Rolle? Weil sie in der Mediendemokratie von zentraler Bedeutung ist. Die einzige harte Währung in der Politik sind Wahlergebnisse. Die gibt es aber nur alle vier bis fünf Jahre. Dazwischen geben „weiche“ Kriterien nur unpräzise Auskunft darüber, wo man gerade steht. Das sind zum Beispiel Meinungsumfragen und die eigene Präsenz in den Medien. Bei beidem steht man als Politiker gut da, wenn man schnell auf aktuelle Stimmungen reagiert.
Die Medien sind entscheidend: Die allermeisten Menschen bilden sich über diese ihre Meinung, in denen Politiker komplexe Positionen auf knappe 30-Sekunden-Statements eindampfen müssen. Oder in denen, das weiß ich selbst als Kommunalpolitiker, die Zusammenhänge oftmals verkürzt und nicht selten auch falsch dargestellt werden. Weil auch die Medien sparen müssen und die Journalisten immer weniger Zeit für die aufwändige Recherche haben.
Medien wiederum bedienen die Interessen ihrer Nutzer: Das plakative Statement, der Eklat oder gar der Skandal sind interessant. Das erklärt zum Beispiel die große Aufmerksamkeit für die Ausfälle rechtspopulistischer Parteien oder eben auch von Trump. Die differenzierte, erklärende und ausgewogene Position hat dagegen kaum eine Chance – langweilig!
Dazu kommt die immer größere Personalisierung: Menschen und das, was sie tun, sind grundsätzlich interessanter als komplizierte Themen. Trump, der schillernde Milliardär mit der unkonventionellen Frisur und der bewegten Vergangenheit, ist hierfür ein Paradebeispiel. Entsprechend setzt die Berichterstattung ihren Schwerpunkt. Sie fragt zum Beispiel nicht, ob die Position der SPD zu CETA richtig ist oder ausgewogen oder sozial gerecht. Nein, sie fragt, ob Sigmar Gabriel sich in seiner Partei durchsetzen kann, ob er „stark“ oder „schwach“ ist, und ob er danach beschädigt ist oder ob das dann bedeutet, dass er auch Kanzlerkandidat wird. Abgesehen davon, dass hier die Niederlage zum Stigma wird – was ich für völlig falsch halte, weil jeder Mensch irgendwann auch mal Unrecht hat – ist das eine völlige Verkürzung der Berichterstattung von Politik, eine Boulevardisierung. Ich glaube, dass das den allermeisten Menschen in diesem Land nicht gerecht wird, weil sie selbstverständlich eben doch komplizierte Themen verstehen und sich sehr wohl für Inhalte interessieren.
Aber warum handeln die Medien so? Die „harte Währung“ der Medien sind Einschaltquoten, Auflagen und Klickzahlen, weil sie direkt die Werbeeinnahmen beeinflussen. Und da kommen wir zu den Konsumenten der Medien, also zu jedem einzelnen von uns.
Gegensteuern: Jeder entscheidet mit jedem Klick
Jeder von uns entscheidet, welche Medien er nutzt. Jeder ist dabei menschlich. Ich habe bestimmt auch schon mal lieber auf einen Link a la „Das sind Gabriels Chancen auf die Kanzlerschaft“ geklickt als auf so etwas wie „Zehn Fakten Pro und Contra CETA und TTIP“. Wenn aber mehr Menschen auf den ersten Link klicken, generiert dies mehr Aufmerksamkeit und damit höhere Werbeeinnahmen, also werden mehr Artikel in dem gleichen Stil geschrieben. Jeder von uns beeinflusst mit seinen Klicks also ein kleines bisschen, worüber die Medien schreiben. Also auch, welche politische Themen Medien relevant finden. Folglich also auch, worauf Politiker ihre Aufmerksamkeit richten. Die Quelle sind immer wir, die Nutzer der Medien.
Wer würde da noch behaupten, „ich kann nichts tun“? Abgesehen von Klickzahlen: Teilnahme an Politik ist in Deutschland so leicht wie in kaum einem anderen Land. In Kontakt mit den Volksvertretern kommen? Easy! Einmal kurz googeln, dann weiß man, wer im eigenen Ort der oder die Bundestagsabgeordnete ist. Dann den Namen bei Facebook suchen. Dann anschreiben, per Nachricht oder sogar öffentlich auf der Pinnwand. Ein guter Politiker wird sich darum kümmern oder zumindest jemanden finden, der eine Antwort hat. Ihr habt im Übrigen ein Recht darauf, dass eure Fragen als Bürgerinnen und Bürger beantwortet werden, und dass die Antwort auch verständlich ist. Wenn nicht, fragt ihr jemanden von einer anderen Partei.
Was kann jeder noch tun? Wählen gehen. Sich informieren. Zu wichtigen Themen Politiker anschreiben. Sich in einem Verein engagieren. Ehrenamtlich anderen helfen. In die SPD eintreten. Sich selbst für ein politisches Amt aufstellen. Es gibt so viel, das man tun kann. Eines aber darf keiner von uns tun: Passiv bleiben, wie erstarrt dasitzen, das Sofa nicht verlassen, weil „man ja als Einzelner eh nichts tun kann“. Wenn alle so denken, stimmt das. Aber nur dann.
Noch einmal: Die Aufmerksamkeit der Wähler bestimmt, wofür Medien und Politiker sich einsetzen. Damit schließt sich der Kreis. Alle gemeinsam können Populismus verhindern, wenn die Debatte sachlicher wird, weniger aufgeregt, und den Inhalten mehr Raum gibt. Und wenn dann umsetzbare Vorschläge gemacht werden, die auch wirklich zur Realität werden.
Populismus hat keine Chance – wenn wir etwas tun
Im Moment kommt es mir so vor, als säßen wir staunend vor diesem neuen Phänomen, dass der plumpe Populismus so erfolgreich sein kann. Und sind erstarrt wie das Kaninchen vor der Schlange, in der Angst, dass es auch uns bald so gehen könnte. Vielleicht hoffen wir, dass es vorbeigeht. Aber das ist nicht genug.
Wir müssen uns bewegen. Wir müssen uns mit aller Kraft gegen die Entwicklung stemmen, sonst gehen die Errungenschaften von Generationen verloren: Demokratie, Menschenrechte, Freiheit und Fortschritt. Auch wenn es unbequem wird und auch, wenn wir es nicht gewohnt sind: Wir müssen kämpfen, um diese Werte zu bewahren, vielleicht noch einmal so hart wie die Generationen vor uns, die den Kampf überhaupt führen mussten, damit Demokratie und Vernunft sich durchsetzen konnten. Und wenn der Kampf nur damit anfängt, sich für Inhalte zu interessieren. Und manchmal bedeutet, auf den richtigen Link zu klicken.