Polen ist auf dem Weg zurück zum „schwierigen Partner“. Schon in der ersten PiS-Regierungszeit von 2005 bis 2007 haftete Deutschlands östlichem Nachbarn dieses Etikett an – sowohl wegen der innenpolitischen Projekte der Regierung als auch wegen deren Auftreten auf EU-Ebene. Die Geschichte scheint sich zu wiederholen.
Innenpolitik geht vor
So dürfte es zum Beispiel niemand in Brüssel gerne gesehen haben, dass Polen als einziges Land gegen die Wiederwahl des polnischen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk gestimmt hat. Das Votum hatte rein innenpolitische Gründe: Tusk ist politischer Gegenspieler und Intimfeind des PiS-Chefs Jarosław Kaczyński. Die polnische Regierung nimmt also europapolitischen Schaden in Kauf, wenn sie sich einen Gewinn bei den eigenen Wählern verspricht. Ein Schlag ins Gesicht für die europäischen Partner.
Handfeste Probleme bereiten zudem die innenpolitischen Vorhaben. Hochumstritten ist die Besetzung der öffentlich-rechtlichen Medien mit Parteigängern der PiS. Das muss man sich mal vorstellen: Jemand verliert den Job als Journalist bei einem staatlichen Sender – und damit seinen Lebensunterhalt und mitunter seine Karriere – nur weil er oder sie nicht die Meinung der Regierung teilt. Das darf es in einem EU-Staat nicht geben. Es ist aber leider in Polen (und auch Ungarn) Realität.
Auch Mitarbeiter des Außenministeriums und sogar Generäle werden ausgetauscht: mit verheerenden Folgen für die nach 1989 aufgebaute, sehr erfolgreiche Diplomatie des Landes und sogar für die Mitarbeit Polens in der NATO.
Rote Linie der EU überschritten
Vor allem aber ist es der Kreuzzug der Regierung gegen die Gerichte, der die europäischen Partner aufbringt. Ohne Frage ist Polens Justizsystem verbesserungswürdig. Ein Richter-Austausch, vermutlich gegen PiS-Sympathisanten, wie es die hoch umstrittenen Gesetzesnovellen ermöglichen würden, ist jedoch keinesfalls die richtige Lösung. Nicht umsonst ist die Gewaltenteilung ein elementarer Bestandteil der Demokratie, sie verhindert Willkür und sichert Meinungsfreiheit und Gerechtigkeit. Mit den Novellen bringt Kaczyński Polen an den Scheideweg zu einem autoritären Regime.
Die EU hat reagiert: Die Kommission hat wegen der Justizreform ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Offizielle Begründung ist, die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu schützen. Warschau reagiert bislang auf seine Weise: Mit einem Propagandafeldzug in den öffentlichen Medien, der unter anderem Reparationen für den Zweiten Weltkrieg fordert und damit kein anderes Ziel verfolgt, als Stimmung gegen Deutschland zu machen. Dabei hält sich die deutsche Regierung klugerweise mit Kritik sogar noch zurück.
Moment der Wahrheit für Europa
Gleichzeitig droht die EU-Kommission Polen mit einer noch schärferen Sanktion, der sogenannten nuklearen Option: einem Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Dieses kann eingeleitet werden, wenn die „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der Grundwerte der EU besteht. Wenn die EU-Kommission oder ein Drittel der Mitgliedstaaten es empfehlen, kann der Rat feststellen, dass eine solche „schwerwiegende und anhaltende Verletzung“ besteht. Anschließend können Konsequenzen bis hin zum Entzug des Stimmrechts erfolgen.
Allerdings muss der Rat diesen Beschluss einstimmig fassen. Und genau darin liegt das Problem: Ungarn hat bereits im Januar angekündigt, Sanktionen gegen Polen per Veto verhindern zu wollen. Die historische polnisch-ungarische Freundschaft dürfte dabei nur eine oberflächliche Rolle spielen: Ungarn ist ebenfalls mehrfach negativ aufgefallen und läuft auch Gefahr, dass ein Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet wird.
Die EU im Dilemma
Das osteuropäische Tandem drängte nun die EU in die Falle: Sie muss ihre schärfste Waffe einsetzen, weiß aber genauso gut wie Polen, dass sie diese im Zweifel nicht einsetzen kann. Wenn es wirklich zur Abstimmung über Sanktionen gegen Polen kommt und diese wirklich nur am Veto eines einzelnen Staates scheitern, dann wäre das für die Glaubwürdigkeit der Werte der EU der größte anzunehmende Unfall.
Dabei hat die EU gar keine Wahl: Eine schwache Reaktion würde sie erst recht zum zahnlosen Tiger machen. Aber eine starke Reaktion, der keine Sanktionen folgen, macht sie als Gemeinschaft auf Dauer unglaubwürdig. Die Kürzung der EU-Mittel für Polen wäre eine Alternative, die aber nicht vor dem Jahr 2021 greifen kann, denn das Budget 2014 bis 2020 ist bereits festgeschrieben.
Entschlossen vorgehen – und im Gespräch bleiben
Möglicher Ausweg: Ein gleichzeitiges Verfahren gegen Polen und Ungarn. Manche Experten halten dies für möglich und rechtlich begründbar. Die Voraussetzung wäre, dass sich zwei Staaten gleichzeitig den Werten der EU entziehen. Oder dass ein Verfahren gegen Ungarn ebenfalls eröffnet wird – Anlass dazu hat die ungarische Regierung in den vergangenen Jahren zur Genüge gegeben. Hierfür reicht eine Mehrheit von vier Fünfteln der Staaten, Ungarn und Polen könnten sich also nicht gegenseitig aus der Patsche helfen.
Kurzfristig bleibt aber nur der intensive Dialog. Die EU und insbesondere Deutschland müssen klar machen, dass Polen ein wichtiger EU-Partner ist, den man nicht bereit ist, aufzugeben. Gleichzeitig muss sich das Land aber wie jeder andere auch an die Regeln und die Grundwerte der EU halten. Die Kommission muss gleichzeitig klar machen, dass die Sanktionsmöglichkeiten Stimmrechtsentzug und Mittelkürzung geprüft und mit aller Entschlossenheit vorangetrieben werden können.
Die Polen sind nach wie vor EU-Enthusiasten
Polen und Ungarn muss klarwerden, dass sie innerhalb der EU isoliert sind und sich aus dem Wertekanon hinausbewegen. Zumindest in Polen besteht nach wie vor eine starke Zivilgesellschaft, die kaum auf Dauer ein autoritäres Regime dulden wird. Bestes Beispiel sind die Proteste tausender Menschen in zahlreichen polnischen Städten gegen die Justizreformen, die letzten Endes den polnischen Präsidenten Andrzej Duda dazu bewegten, zumindest gegen einen Teil der neuen Regelungen sein Veto einzulegen.
Die Menschen in Polen gehören nach wie vor zu den größten EU-Enthusiasten. Etwa drei Viertel von ihnen begrüßen die EU-Mitgliedschaft ihres Landes. Auch wenn nicht alle in Brüssel getroffenen Entscheidungen und Vorstöße auf volle Unterstützung treffen, so kann sich die Kommission dennoch eines starken Rückhalts vor Ort sicher sein.